

Herr Prix: Was bedeutet der Name Coop Himmelb(l)au ?
PRIX: Kooperative steht für Team und Himmelblau ist keine Farbe, sondern steht dafür, die Architektur wie die Wolken zu verändern. Das war 1968, als wir zum ersten Mal als Team zusammengetreten sind. Damals, vor 40 Jahren, wollten wir die Architektur sofort und radikal verändern. Wir haben aber sehr schnell gemerkt, dass das eine Überschätzung der Bauindustrie und eine Unterschätzung der Auftraggeber ist- oder umgekehrt. Die Bauindustrie war und ist bis heute nicht in der Lage, technische Entwicklungen an den Markt zu bringen. Wenn sich die Automobilindustrie so langsam entwickeln würde wie die Bauindustrie, würden wir heute noch mit Ochsenkarren fahren.
Was vermissen Sie ?
PRIX: Ich vermisse technische Innovationen in Materialien und Technik. Man ist wahrscheinlich auch durch den Kostendruck nicht in der Lage, beispielsweise Prototypen herzustellen, um sie überprüfen zu können.
Elsässer konnte dies bei dem Bau der Großmarkthalle für das neue Dach noch tun. Dafür fehlt heute die Zeit und vielleicht auch das Geld. Ich denke aber auch, dass Innovationsfaulheit dahinter steckt.

Die Großmarkthalle mit ihrem freigeräumten Vorfeld. Foto: Wygoda
Was würde Sie denn gerne anders bauen?
PRIX: Wolken, also flexiblere Räume als es zur Zeit möglich ist. Räume, die sich den veränderten Bedürfnissen der Nutzer anpassen.
Sie haben einmal gesagt, Sie könnten heute das bauen, was Sie sich vor 40 Jahren vorgestellt haben. Also muss es doch eine Entwicklung gegeben haben.
PRIX: 40 Jahre sind eine lange Zeit. Damals haben wir von Feedback- Räumen geträumt, Räume, die sich durch die Benutzung des Bewohners verändern. Das ist auch eine Aufforderung an junge Architekten und meine Studenten, weit voraus zu denken. Denn es dauert ja immer fünf bis sechs Jahre von dem Entwurf bis zur Realisierung. Das liegt daran, dass große Projekte meistens durch Gremien entschieden werden, und die brauchen ihre Zeit um einen Konsens zu finden.
Das galt ja auch für die Türme der Europäischen Zentralbank (EZB).
PRIX:Â Richtig. Aber wir hatten nie einen Zweifel daran, dass sie gebaut werden. Hier war es eine Frage der Ausschreibung, damit wir im Budget bleiben, wie sich ja herausgestellt hat.
Sind die EZB-Türme gegenüber anderen Hochhäusern etwas besonders für Sie?
PRIX: Nein, denn jedes unserer Projekte ist ein Maßanzug für den jeweiligen Auftraggeber. Bei der EZB hatten wir ja auch die Aufgabe, einen Icon zu schaffen. Das war uns auch wichtig, denn wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass die EU und damit auch die EZB eine notwendige Institution ist, auch wenn es aktuell nicht so aussehen mag. Und dafür war es uns wichtig, ein dreidimensionales Zeichen zu setzen.

Animation der künftigen EZB-Türme mit der Großmarkthalle Bild: EZB
Also ist es doch etwas besonderes geworden?
PRIX: Ja sicher, normalerweise ist ein Hochhaus ein Grundriss mit 40, 50 oder 60 Geschossen. Das ist hier nicht der Fall. Durch die besondere Geometrie, die komplex aber nicht kompliziert ist, bekommt das Gebäude auch seinen Mehrwert, dass es von vielen Seiten verschieden aussieht. Damit haben wir sicher auch die Typologie des Hochhauses neu definiert. Das macht dann auch das Icon aus. Durch das Konferenzzentrum in der Großmarkthalle gibt es halböffentliche und öffentliche Räume trotz der hohen Sicherheitsanforderungen. Es ist uns in Zusammenarbeit mit der EZB gelungen, diese Öffentlichkeit herzustellen.
Welches Bild hatten Sie von Frankfurt, bevor sie hier gebaut haben, und wie hat es sich verändert?
PRIX: Frankfurt war für mich immer eine Hochhausstadt. Als Wiener war ich immer etwas neidisch, dass Frankfurt Hochhäuser bauen kann und Wien nicht. Erst durch eine Hochhausstudie, die wir vor 20 Jahren gemacht haben, ist es uns gelungen, die Wiener Stadtplanung davon zu überzeugen, dass auch das Hochhaus eine Bautypologie ist, die zu einer Stadt gehört.
Frankfurt am Main also ein Vorbild für Wien?
PRIX: So will ich das nicht sagen, weil wir in Wien andere wirtschaftliche Verhältnisse haben, und die Hochhaussituation hier ja typisch für die Bankenmonokultur ist und wir in Wien andere Gebäudeprogramme als nur Banken haben.
Sie bauen in einem Teil der Stadt, in dem es noch keine Hochhäuser gibt. Werden die Türme der EZB das Viertel verändern?
PRIX: Ich denke ja. Wenn die Stadtplanung und die Investoren das als Ausgangspunkt verstehen, wird hier ein zweites Zentrum entstehen. Das halte ich übrigens für jede Stadt für wichtig, denn ein monozentrisches Stadtbild ist immer eine Gefahr für eine urbane Entwicklung.
Also mehr Hochhäuser im Frankfurter Osten?
PRIX: Ich weiß nicht, ob das geplant ist, aber es wäre gut. Aber, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, nicht nur Hochhäuser, das wäre nicht gut. Verschiedenheit der Typologie und der Funktionen machen urbanes Leben aus. Vielfalt und Lebendigkeit sind es, die eine Stadt ausmachen, und die sind planbar.
Sie haben in Wien ein Haus mit eigenem Kraftwerk geplant…
PRIX: Nein, nicht mit einem Kraftwerk. Das Haus ist ein Kraftwerk. Wir wollen das so genannte Passivhaus gerne als Aktivhaus sehen. Dieses Haus hat eine Fassade, die mehr Energie erzeugt als es verbraucht. Durch die Umwandlung von Sonnen- und Windenergie wird es zu einem Kraftwerk.
Bei der EZB haben Sie so etwas nicht versucht?
PRIX: Das ist auch eine Frage des Auftraggebers. Aber ich muss sagen, dass das Gebäude 30 Prozent weniger Energie verbraucht als vorgeschrieben.
Welche Rolle spielt die Energiefrage in Ihrer Architektur?
PRIX: Für uns war es immer selbstverständlich, dass wir uns mit energieeffizienten Gebäuden beschäftigen. Das gehört zum Handwerk des Architekten. In letzter Zeit wird dieser Aspekt aber immer an die Spitze der Beurteilung für die Architektur gestellt. Das halte ich für falsch. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Häuser energieeffizient gebaut werden. Das muss aber immer auch vom Auftraggeber gewünscht werden.
Die Großmarkthalle leer  Foto: Wygoda
Es gibt Kollegen von Ihnen, die halten die Diskussion um Energieeffizienz für schädlich für die Architektur, weil damit die Funktion zu sehr im Vordergrund stehe.
PRIX: Es ist sicher nicht richtig, die Energieeffizienz als Allheilmittel für die Architektur zu sehen. Ich glaube, dass wir das Problem der Energie nur über eine neue Ästhetik transportieren werden. Diese neue Ästhetik wird die Gebäude sehr verändern. Das wird aber auch Auswirkungen auf die Stadtplanung haben, da sich die Städte dann nach den jeweiligen Klimazonen orientieren müssen.
Werden die Türme der EZB den Hochhausbau verändern?
PRIX:Â Das glaube ich nicht.
Auch nicht die Diskussion über Hochhäuser?
PRIX: Das schon. Man wird sehen, dass es ein Archetyp in der Architekturtypologie ist, einen Turm zu bauen. Diese Diskussion hat es immer gegeben und wird es immer geben. Archetypen zu unterdrücken ist aber ein sehr gefährliches psychologisches Spiel. Ein Turm ist ja nicht nur ein Zeichen für Macht, sondern auch ein Zeichen für Überblick. Und die Hochhäuser tragen zu dem medialen Bild der Stadt Frankfurt viel bei. Und in unserer Zeit, in der man fast nur noch Bilder liest, ist es besonders wichtig, dass man Bilder erzeugt.
Nun ist die EZB auch eine Verbindung zwischen dem historischen Bau der Großmarkthalle aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts und dem Bau des 21. Jahrhunderts.
PRIX: Der dialektische Umgang zwischen alt und neu ist selbstverständlich auch ein Thema, das in allen europäischen Städten eine große Rolle spielt. Aus dieser Dialektik kann man einen Formenreichtum gewinnen, den auf eine Wiese geplante Stadtviertel nicht haben. Es war selbstverständlich eine Herausforderung für uns, ein horizontales Volumen mit einem vertikalen Volumen zu verbinden. Und beide Häuser sind ja auch technisch sehr weit entwickelt. Auch dieses Zusammenspiel wird einzigartig sein.

Die Durchbrüche für den Eingangsriegel
Foto: Wygoda
Sie hatten ursprünglich ja auch einen so genannten Groundscraper, ein horizontales Gebäude, neben die Großmarkthalle stellen wollen.
PRIX: Ja, das war eine sehr komplexe Entwicklung. Wir sind durch die Diskussion über den Denkmalschutz zu unserem jetzigen Ergebnis gekommen. Die Frage stellte sich immer, wie kommt man in das neue Gebäude hinein. Weder kann man durch Katzentüren in ein solches Hochhaus gehen, und um die Großmarkthalle herumzugehen, hätte die Halle total isoliert. Da war es ein großer Fortschritt die Funktionen aus dem Groundscraper in die Großmarkthalle als Haus im Haus zu verlegen, damit konnte auch die Sanierung der Großmarkthalle finanziell dargestellt werden. Das ist von der EZB aktiver Denkmalschutz.
Wird man denn die beeindruckende Größe der Halle auch später noch erleben können?
PRIX: Das gehört auch zu unserem Entwurfskonzept. Das Verschwenken des Konferenzzentrums und unser Vorschlag, Teile des verlangten Volumens Überdach zu legen, macht die Größe der Halle erfahrbar.
Von der Sonnemannstraße aus wird man leider wegen des Sicherheitswalls nicht mehr viel von der Großmarkthalle sehen.
PRIX: Das ist eine Sicherheitsvorschrift. Man wird schon noch einiges mitbekommen, die Halle ist groß genug. So wie sie jetzt da steht, wird man sie nicht mehr sehen, doch gehört es auch zu einer städtebaulichen Entwicklung, dass sich Blickwinkel auf ein Gebäude verändern. Das ist das Spannende an einer Stadt.
Das Gespräch führte Hermann Wygoda, freier Journalist, Frankfurt.
Hintergrund: COOPÂ HIMMELB(L)AU
Mit dem Slogan „Architektur muss brennen“ wurde  das Wiener Büro Coop Himmelb(l)au 1980 bekannt, als sie in einer Kunstausstellung eine Holzkonstruktion an einer Hauswand in Brand setzten. Gegründet wurde das Büro bereits 1968 in Wien von den drei Architekten, Wolf D. Prix , Helmut Swiczinsky und Michael Holzer .
Auf der Documenta V in Kassel haben die Absolventen der Wiener Kunsthochschule ein flexibles Wohngebäude in Form einer Wolke entworfen, das sich den jeweiligen Wünschen und Bedürfnissen des bewohners anpasst.. Wolf Prix träumt nach wie vor davon, diese Konstruktion einmal zu realisieren.
Der Gasometer mit den angesetzten Wohnungen in Wien. Foto: Wygoda
Heute gehört das Büro mit seinen 150 Mitarbeitern zu den renommiertesten aber auch umstrittensten Architekturbüros, das weltweit Aufträge für seine oftmals spektakulären Entwürfe erhält und sich in vielen Wettbewerben durchsetzt.
In Europa sind der UFA-Filmpalast in Dresden, die zu einem Wohngebäude umfunktionierte Gasometer in Wien, die Akademie der Bildenden Künste und die BMW-Welt in München ihre bekanntesten.
Derzeit werden das von Coop Himmelb(l)au  unter anderem entworfene  Musée des Confluences in Lyon, Frankreich, das Busan Cinema Center in Busan, Südkorea und das Dalian International Conference Center in China gebaut.  2003 gewann Coop Himmelb(l)au mit seinem Entwurf für einen 180 Meter hohen Doppelturm den Wettbewerb für den Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB) im Frankfurter Ostend.  wyg